„Meine Vision ist eine Gesell­schaft, die kaum noch Ressourcen verbraucht“

Prof. Vero­nika Grimm berät die Bundes­re­gie­rung als eine von fünf Wirt­schafts­weisen. Wir haben sie Anfang August in Nürn­berg getroffen. Dort hat sie uns erklärt, wie Deutsch­land durch die Corona-Krise kommt, warum Zukunfts­in­ves­ti­tionen nötig sind  und wie damit auch der Klima­schutz voran­ge­bracht werden kann.

Corona ist seit sechs Monaten das alles domi­nie­rende Thema und unser stän­diger Begleiter. Was denken Sie, wie würde unser Gespräch beginnen, wenn wir es in einem halben Jahr führen?

Dann wird uns die Corona-Pandemie immer noch sehr fest im Griff haben, wir würden immer noch als erstes darüber reden.

Die Zahlen steigen, Experten spre­chen bereits von der zweiten Welle. Was würde ein zweiter Lock­down bedeuten?

Ein weiterer Lock­down wäre fatal und wahr­schein­lich auch nicht zwin­gend notwendig. Wir waren im Früh­jahr 2020 nicht wirk­lich gut auf eine welt­weite Pandemie vorbe­reitet. Das hat sich jetzt geän­dert: Wir haben in Schutz­aus­rüs­tung und Inten­siv­me­dizin inves­tiert. Es gibt Masken. Und wir können die Pande­mie­be­kämp­fung in Zukunft besser orga­ni­sieren: mit Hilfe von Tests sowie Tracking- und Tracin­g­tech­no­lo­gien. Auch unsere Gesund­heits­ämter sind nun besser aufge­stellt. Inso­fern sollten wir jetzt in der Lage sein, eine neue Infek­ti­ons­welle mit regio­nalen, ziel­ge­rich­teten Maßnahmen in den Griff zu bekommen.

Gelingt uns das nicht, könnte die aufgrund der mitt­ler­weile stark redu­zierten Liqui­dität vieler Unter­nehmen zu einer großen Zahl an Insol­venzen führen. Das wiederum hätte massive Auswir­kungen auf den Arbeits­markt und auch die Banken könnten aufgrund fauler Kredite leiden.

„Es ist sinn­voll so hohe Summen einzu­setzen, denn es ist billiger die Wirt­schaft wieder zu beleben statt sie neu aufzu­bauen.“

Prof. Vero­nika Grimm im Inter­view über

Um die Wirt­schaft wieder in Gang zu bringen, pumpt die Euro­päi­sche Union 1,8 Billionen Euro in die Märkte, die Bundes­re­gie­rung macht 750 Milli­arden Euro locker. Was bringt das alles?

Wenn wir jetzt nicht unmit­telbar und umfang­reich gegen­steuern, müssen wir uns auf Insol­venzen gefasst machen. Dadurch würde uns wirt­schaft­li­ches Poten­zial verloren gehen, dass wir neu aufbauen müssten. Hilft man den Unter­nehmen über diese Periode hinweg, können wir die Wirt­schaft wieder beleben. Es ist also sinn­voll, hohe Summen einzu­setzen. Aber es kommt auch darauf an, wie der Staat eingreift.

Da gab es im Vorfeld des Konjunk­tur­pa­kets schon ein großes Wunsch­kon­zert. Ganz promi­nent war die Diskus­sion über die Kauf­prämie für Autos mit Verbren­nungs­mo­toren. Ein Argu­ment war, man könne so einen Pfropfen lösen, die Fahr­zeuge, die jetzt auf Halde liegen, abver­kaufen und dann schneller die Produk­tion wieder anzu­schieben. Doch die Argu­mente dagegen über­wiegen. Zum einen hätte die Indus­trie den erwünschten Effekt über Rabatte selbst auslösen können. Zum anderen wurden 2009, als es eine solche Kauf­prämie schon einmal gab, haupt­säch­lich Fahr­zeuge auslän­di­scher Hersteller gekauft. Ein Groß­teil der Hilfe wäre also bei den deut­schen Herstel­lern gar nicht ange­kommen.

Jetzt fokus­siert das Konjunk­tur­paket in seinem „Zukunfts­paket“ sehr klar auf die Zukunfts­themen Klima­schutz, Digi­ta­li­sie­rung und Bildung. Über Einzel­heiten kann man sich streiten. Aber insge­samt ist es die rich­tige Rich­tung.

Das Geld fließt in die Wirt­schaft. Sorgt das nicht für Frus­tra­tion, wenn es dann heißt: für soziale Projekte, Pflege, Kinder­be­treuung und ähnli­ches sei kein Geld mehr da?

Das, was den nötigen Spiel­raum erzeugt, ist eine zukunfts­fä­hige Wirt­schaft und ein dadurch solider Staats­haus­halt. Die Möglich­keiten, dauer­haft für sozialen Ausgleich zu sorgen, sind umso größer, je schneller wir wieder auf einen – hoffent­lich nach­hal­tigen – Wachs­tums­pfad kommen. Idea­ler­weise nutzen wir die Situa­tion und fördern den ohnehin statt­fin­denden Struk­tur­wandel. Gibt es zukunfts­fä­hige Geschäfts­mo­delle, dann sichert das viele Arbeits­plätze. Die Voraus­set­zung dafür ist, dass wir aus dieser Krise heraus­kommen.

„Die Wirt­schaft wird sich schneller verän­dern, als das ohne Corona der Fall gewesen wäre“

Und wie ist dieser Struk­tur­wandel zu schaffen?

Nehmen wir die Verlän­ge­rung der Kurz­ar­beit. Da ist es wichtig, zu über­legen, ob es in Bran­chen Struk­tur­brüche geben wird, wie etwa im Flug­ver­kehr oder im Tourismus. Es ist nicht unwahr­schein­lich, dass Flug­reisen dauer­haft abnehmen, weil wir entde­cken, dass wir bestimmte Dinge auch ohne Reise­tä­tig­keit umsetzen können.

Viel­leicht wird es aufgrund der Pandemie auch für längere Zeit Vorbe­halte geben, in sehr weit entfernte Regionen zu fliegen. Das hätte Auswir­kungen auf die gesamte Tourismus- und Veran­stal­tungs­branche. Im Rahmen der Kurz­ar­beit wäre es deshalb gut, den Betrof­fenen mit Weiter­bil­dungs­maß­nahmen eine Umori­en­tie­rung in zukunfts­fä­hi­gere Bereiche zu ermög­li­chen. Es muss auch darum gehen, die unaus­weich­li­chen Trans­for­ma­ti­ons­pro­zesse so zu unter­stützen, dass den Menschen neue Chancen eröffnet werden.

Wo soll der Staat regelnd einspringen und wo sollten wir dies den Markt regeln lassen?

Hier wirken Märkte und eine koor­di­nie­rende Rolle staat­li­cher Insti­tu­tionen zusammen. Zum Beispiel kann die Bundes­agentur für Arbeit Weiter­bil­dungen während der Kurz­ar­beit fördern. Insbe­son­dere dann, wenn sich die Branche im Struk­tur­wandel befindet und eine Weiter­bil­dung in Engpass­be­rufen ange­strebt wird. Hier gibt es auch umfang­reiche Infor­ma­ti­ons­an­ge­bote von Behörden.

Der Weiter­bil­dungs­markt ist sehr viel­fältig, es ist gar nicht leicht, sich zurecht­zu­finden. Daher ist Bera­tung und Koor­di­na­tion auch durch staat­liche Stellen sehr wichtig.

Wann sollten die Hilfen spürbar greifen?

In Deutsch­land stehen wir gut da. Wir haben relativ große und ziel­ge­rich­tete Programme aufge­legt, weswegen nun langsam eine Erho­lung einsetzt. Viele Unter­nehmen mussten hohe Verluste in Kauf nehmen. Doch durch einige Maßnahmen, wie zum Beispiel den steu­er­li­chen Verlust­rück­trag, verbes­sert sich die Liqui­dität.

Schwierig ist es dort, wo der Normal­be­trieb noch lange nicht einsetzt oder ein Struk­tur­wandel unaus­weich­lich ist. Mit zuneh­mender Dauer der Beschrän­kungen muss man dann gezielt struk­tu­relle Anpas­sungen begleiten oder länger­fristig unter­stützen. Dieser Über­gang wird sehr heraus­for­dernd sein. Wir werden auch Insol­venzen in Kauf nehmen müssen. Die Wirt­schaft wird sich schneller verän­dern als das ohne Corona der Fall gewesen wäre.

Stich­wort Verän­de­rungen. Corona hat uns zu einer Art Turbo-Digi­ta­li­sie­rung gezwungen. Werden wir danach wieder so weiter machen wie vorher?

Ich bin mir sicher: Unsere Arbeits­welt verän­dert sich nach­haltig. Wir haben nun erlebt, dass Dinge digital funk­tio­nieren, die vorher nicht denkbar gewesen wären. Zum Beispiel werden jetzt mehr Reisen durch Video­kon­fe­renzen substi­tu­iert. Das wird uns bestimmt erhalten bleiben. Der konse­quente Austausch über digi­tale Platt­formen ist ein riesiger Effi­zi­enz­ge­winn.

Dämme sind auch in der Digi­ta­li­sie­rung von Behörden gebro­chen. Da war Deutsch­land bisher relativ langsam. Man würde also gut daran tun, diese Impulse der Krise so aufzu­nehmen, dass wir damit die Wirt­schaft wieder in Gang bringen. Die Digi­ta­li­sie­rung der öffent­li­chen Verwal­tung und auch der Schulen ist dafür ein idealer Bereich. Hier können viele Projekte zeitnah umge­setzt werden, was auch die Auftrags­lage von IT-Firmen verbes­sert.

„Auch in der Digi­ta­li­sie­rung von Behörden sind jetzt Dämme gebro­chen.“

In der Platt­form­öko­nomie sehen wir nur noch die Rück­lichter des Zuges. Wo ist noch Platz für Europa in Sachen Digi­ta­li­sie­rung?

Ich bin skep­tisch, ob wir im Bereich der Platt­form­öko­nomie den ameri­ka­ni­schen Giganten Konkur­renz machen können. Aber ich denke nicht, dass der Zug für die gesamte Digi­tal­branche abge­fahren ist.

Wir müssen Geschäfts­mo­delle voran­treiben, die lang­fristig eine gute Alter­na­tive zu den ameri­ka­ni­schen Platt­formen darstellen. So gibt es für Video­kon­fe­renzen wenig akzep­table Tools von euro­päi­schen Anbie­tern. Da bietet Corona jetzt einen großen Anreiz, das zu ändern. Hier ist ein Massen­markt entstanden. Auch im Bereich künst­liche Intel­li­genz haben wir kompa­ra­tive Vorteile.

Aufholen müssen wir in Deutsch­land bei der Netz­ab­de­ckung, denn viele Inno­va­tionen werden nur entstehen, wenn die Anwen­dungen und Dienste auch flächen­de­ckend nutzbar sind. Wichtig ist die Frage: Welche Konzepte ermög­li­chen uns eine höhere digi­tale Souve­rä­nität und sind sie mit unseren Vorstel­lungen von Daten­schutz kompa­tibel – die sich klar von den ameri­ka­ni­schen oder chine­si­schen Vorstel­lungen unter­scheiden? Eine weitere Chance bietet den Euro­päern das Internet of Things im Busi­ness-to-Busi­ness-Bereich, zum Beispiel im Gesund­heits­sektor.

Die Pandemie ist nicht unsere einzige wirt­schafts­po­li­ti­sche Heraus­for­de­rung. Wie können wir das Klima schützen?

Schon vor der Coro­na­krise gab es bemer­kens­werte Entwick­lungen im Bereich Klima­schutz. Mit dem Klima­paket im Jahr 2019 wurde der CO2-Handel als Leit­in­stru­ment der Klima­po­litik etabliert. Das ist ein großer Fort­schritt, auch wenn das avisierte Preis­ni­veau noch zu wünschen übrig lässt.

Wenn wir bis 2050 klima­neu­tral werden wollen, brau­chen wir viel grünen Wasser­stoff und synthe­ti­sche Ener­gie­träger. Für Klima­neu­tra­lität müssen wir alle Sektoren dekar­bo­ni­sieren – direkt durch Elek­tri­fi­zie­rung oder indi­rekt, indem wir erneu­er­baren Strom in Wasser­stoff oder synthe­ti­sche Kraft­stoffe umwan­deln. Damit können wir dann schwere Fahr­zeuge betreiben, emis­si­ons­in­ten­sive Rohstoffe in der Indus­trie ersetzen oder Stahl produ­zieren.

Diese Trans­for­ma­tion erfor­dert umfang­reiche privat­wirt­schaft­liche Inves­ti­tionen und kann nur durch eine Reform der gesetz­li­chen Rahmen­be­din­gungen ausge­löst werden. Da liegt noch einiges vor uns. Der Wandel bedingt massive Umstel­lungen indus­tri­eller Prozesse, des Trans­port­sek­tors und des Wärme­sek­tors.

Dabei eröffnen sich aber auch Chancen für die deut­sche Indus­trie. Im Bereich Wasser­stoff und synthe­ti­sche Ener­gie­träger sind die Unter­nehmen in Deutsch­land exzel­lent aufge­stellt, auch die Forschungs­land­schaft ist welt­spitze. Die Euro­päi­sche Union, viele euro­päi­sche Staaten und Bundes­länder haben Wasser­stoff­stra­te­gien vorge­legt. Im Rahmen der Konjunk­tur­pa­kete hat sich diese Entwick­lung beschleu­nigt. Nun muss die Umset­zung ebenso konse­quent geschehen.

Fahren wir dann in zehn Jahren Wasser­stoff­autos?

Wir fahren heute schon Wasser­stoff­autos, also einige wenige von uns. Aber bis die Wasser­stoff­mo­bi­lität tatsäch­lich einen signi­fi­kanten Anteil der Mobi­lität ausmacht, wird es noch dauern.

Im Pkw-Bereich wird heiß disku­tiert, ob man die Batterie oder die Brenn­stoff­zelle voran­treiben soll. Im Lkw-Bereich, bei schweren Nutz­fahr­zeugen, bei Schiffen und Flug­zeugen ist es relativ klar: Da sind Wasser­stoff und synthe­ti­sche Kraft­stoffe nach heutigem Kennt­nis­stand die einzig sinn­volle Option. Denn eine Batterie wäre schwerer als die Ladung.

Es zeichnet sich also ab, dass wir ohnehin die Wasser­stoff-Tank­stel­len­in­fra­struktur aufbauen werden. Ebenso, wie wir eine Lade­säu­len­in­fra­struktur für Elek­tro­autos haben werden. Wenn es diese gibt, entscheidet der Markt, wer welches Fahr­zeug fährt.

„Ohne grünen Wasser­stoff verfehlen wir unsere Klima­ziele.“

Welche Auswir­kungen hat das Ziel Klima­neu­tra­lität auf die Ener­gie­märkte und Netze?

Aktuell impor­tieren wir 72 Prozent unseres Ener­gie­be­darfs in Form von fossilen Ener­gie­trä­gern. In einer erneu­er­baren Welt werden wir weiterhin stark auf Ener­gie­im­porte ange­wiesen sein. Diese werden zum Beispiel per Schiff in Form synthe­ti­scher Ener­gie­träger oder über Strom­lei­tungen nach Deutsch­land trans­por­tiert. Es wird ein Zusam­men­spiel verschie­dener Märkte geben: Strom, Gas, Wasser­stoff. Die entspre­chenden Netz­pla­nungen sind dabei aufein­ander abge­stimmt. Der Handel erneu­er­barer Ener­gie­träger eröffnet die Chance neuer Ener­gie­part­ner­schaften.

Deshalb suchen wir im Rahmen der Wasser­stoff­stra­tegie Part­ner­schaften mit Ländern, die gute Bedin­gungen haben, grünen Wasser­stoff zu erzeugen. Es lohnt sich, jetzt Part­ner­schaften anzu­bahnen, denn es gibt einen welt­weiten Wett­be­werb um Koope­ra­tionen.

Ist die deut­sche Wirt­schaft fit genug für diese Heraus­for­de­rungen?

Es wird einen inten­siven Wett­be­werb mit Ländern wie China, Japan oder Südkorea um Zukunfts­märkte geben. Es ist ganz wichtig zu sehen, dass diese Staaten unter­schied­liche Voraus­set­zungen haben. In China, aber auch in Japan und Südkorea, wird deut­lich mehr staat­lich geplant und ange­schoben.

Wir dagegen haben über unser markt­ori­en­tiertes Wirt­schafts­system die Chance, die Akteure ziel­ge­richtet über Rahmen­be­din­gungen und Markt­aus­ge­stal­tung zu lenken. Wir haben gute Chancen, wenn wir das Poten­zial nutzen.

Wie sehen solche Rahmen­be­din­gungen aus?

Wir müssen die Energie-Beprei­sung euro­pa­weit umfas­send refor­mieren. Es gibt viele verzer­rende Abgaben und Umlagen, die auch die Preise erneu­er­barer Energie in die Höhe treiben. Das sind zum Beispiel die EEG-Umlage oder Steuern aus Zeiten, in denen Ener­gie­ver­brauch noch per se umwelt­schäd­lich war. Doch je teurer der Strom ist, desto teurer ist auch die Sekto­ren­kopp­lung – also die Dekar­bo­ni­sie­rung der Mobi­lität, der Wärme­er­zeu­gung und der Indus­trie durch die Nutzung erneu­er­baren Stroms.

Es gilt also, die Abgaben und Umlagen weit­ge­hend abzu­schaffen und durch eine Beprei­sung von CO2-Emis­sionen zu ersetzen. Dann würden sich die Vorteile von klima­neu­tralen Tech­no­lo­gien und Produkten auch in den Preisen wider­spie­geln und die koor­di­nie­rende Wirkung des Marktes könnte greifen.

Lässt sich eine CO2-Abgabe zu 100 Prozent über eine entspre­chende Steu­er­sen­kung kompen­sieren?

Das kommt darauf an. Gehen wir mal von einem sektoren­über­grei­fenden CO2-Preis von 35 Euro aus: Für einkom­mens­schwache Haus­halte würde eine Umstel­lung auf eine konse­quente CO2-Beprei­sung im Durch­schnitt zu einer Erhö­hung des verfüg­baren Einkom­mens führen, wenn im Gegenzug Strom­steuer und EEG-Umlage abge­schafft würden. Haus­halte am oberen Ende der Einkom­mens­ver­tei­lung würden leicht drauf­zahlen. Kleine mittel­stän­di­sche Unter­nehmen würden im Schnitt profi­tieren. Wenn der Preis dann vorher­sehbar ansteigt, steigen einer­seits die Kosten bei gleich­blei­benden Emis­sionen.

Aber wenn Haus­halte und Unter­nehmen den Anstieg vorher­sehen, dann können sie auch gezielt durch Inves­ti­tionen Emis­sionen verrin­gern und so Kosten sparen. Das ist ja genau der erwünschte Effekt. Natür­lich gibt es immer auch Haus­halte, die beson­ders belastet wären, zum Beispiel solche mit nied­rigem Einkommen, die eine Ölhei­zung haben und einen langem Arbeitsweg. Hier müsste die Politik im Über­gang für einen Ausgleich sorgen. Aber das steht einer Reform nicht entgegen.

Heraus­for­de­rungen ergeben sich in Indus­trien, die sehr hohe CO2-Emis­sionen und eine hohe Handels­in­ten­sität haben. Zum Beispiel die Stahl­in­dus­trie. Schon heute ist sie von Abgaben und Umlagen befreit und erhält kosten­lose Zerti­fi­kate im Rahmen des Emis­si­ons­han­dels, um die Wett­be­werbs­fä­hig­keit mit der außer­eu­ro­päi­schen Konkur­renz zu sichern.

Da jedoch mit stei­genden CO2-Preisen und einer zuneh­mend ehrgei­zigen Klima­po­litik in verschie­denen Mitglieds­staaten zu rechnen ist, besteht die Befürch­tung, dass dies nicht ausrei­chen könnte. Deswegen denkt die EU darüber nach, wie sie die Wett­be­werbs­fä­hig­keit dieser Unter­nehmen über einen CO2-Grenz­aus­gleich erhalten kann. Da ist man schnell in handels­po­li­ti­schen Diskus­sionen, da die CO2-Besteue­rung auch als Handels­bar­riere inter­pre­tiert werden kann. Hier sind kluge Konzepte gefragt.

„Wenn wir bis 2050 klima­neu­tral werden wollen, brau­chen wir in großem Umfang grünen Wasser­stoff“

Prof. Vero­nika Grimm über ihre persön­liche Moti­va­tion.

Sie machen sich stark für die Zukunfts­pro­jekte Klima­schutz, Digi­ta­li­sie­rung und Bildung. Was ist Ihre persön­liche Moti­va­tion?

Mich faszi­niert die Vision, dass wir als Gesell­schaft weit­ge­hend ohne den Verbrauch von Ressourcen klar­kommen können. Und ich glaube, dass sich eine Gesell­schaft immer weiter­ent­wi­ckeln und solche Heraus­for­de­rungen als Chance begreifen muss. Die Verän­de­rungs­pro­zesse mit zu gestalten, finde ich ziem­lich faszi­nie­rend.

Zur Person

Vero­nika Grimm, geboren 1971, seit 2008 Profes­sorin für Volks­wirt­schafts­lehre an der FAU Erlangen-Nürn­berg. Sie ist Direk­torin des Labo­ra­tory for Expe­ri­mental Rese­arch Nurem­berg (LERN) und Vorsit­zende der Wissen­schaft­li­chen Leitung des Energie Campus Nürn­berg (EnCN). Seit April 2020 ist sie Mitglied des Sach­ver­stän­di­gen­rats zur Begut­ach­tung der gesamt­wirt­schaft­li­chen Lage und damit eine von fünf Wirt­schafts­weisen.

Außerdem ist sie unter anderem im Natio­nalen Wasser­stoffrat, im wissen­schaft­li­chen Beirat beim Bundes­mi­nis­te­rium für Wirt­schaft und Energie (BMWi) sowie in der Exper­ten­kom­mis­sion zum Moni­to­ring­pro­zess „Energie der Zukunft“ am BMWi tätig. Sie twit­tert regel­mäßig zu Themen aus Wissen­schaft und Politik unter @GrimmVeronika.