Prof. Dr. Anja Kern, Stiftungsprofessorin für Handel und Führung an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) in Mosbach, erklärt im Interview, wie Unternehmen mit einer globalen CO2-Gebühr das Klima retten können.
Prof. Kern, was ist Nachhaltigkeit?
Das weiß niemand so genau. Es gibt keine einheitliche Definition.
Wie messen Unternehmen dann ihre Nachhaltigkeit?
Es gibt Vorgaben innerhalb der EU, dass Unternehmen ab einer bestimmten Größe Nachhaltigkeitsberichte verfassen müssen. Aber es gibt keinen einheitlichen Standard darüber, was Unternehmen berichten müssen.
Wie verfassen sie die Berichte dann?
Es existieren verschiedene Nachhaltigkeitsstandards und Unternehmen können sich frei entscheiden, welchen Berichtstandard sie umsetzen. Sie können auch eigene Ansätze entwickeln, die besser zu ihrem Geschäftsmodell passen oder ihnen erlauben, ihr Alleinstellungsmerkmal zu unterstreichen. Daher sind Vergleiche zwischen Unternehmen bisher schwierig.
Lassen Sie uns einen Blick in die Zukunft werfen: Wie sieht im Jahr 2030 erfolgreiches, nachhaltiges Wirtschaften aus?
Manager werden bis 2030 gelernt haben, die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit Ökonomie, Ökologie und Soziales zu berücksichtigen. Also die ökologische, soziale und ökonomische Wertschöpfung zusammen zu denken und in Geschäftsmodellen umzusetzen. Die Nachhaltigkeit wird sich dann durchsetzen, wenn Gewinnziel und Nachhaltigkeitsziel Hand in Hand gehen. Das funktioniert nur, wenn sich die Rahmenbedingungen der Wirtschaft ändern.
Welche Rahmenbedingungen meinen Sie?
Die natürlichen Ressourcen unserer Erde müssen teurer werden. Luft, Wasser, Rohstoffe müssen so teuer werden, dass es sich nicht mehr lohnt, ein Produkt zu kaufen und es einfach wegzuwerfen, wenn es defekt ist. Es soll sich lohnen, Produkte zu reparieren. Sie an andere weiterzugeben, wenn man keine Verwendung mehr für sie hat. Oder einzusammeln und neu auszustatten. Einen neuen Verwendungszweck für das Produkt zu finden, wenn es seinen ursprünglichen Zweck nicht mehr erfüllen kann. Unternehmen wie die amerikanische Outdoor-Marke Patagonia sind sehr erfolgreich mit ihrem nachhaltigen Geschäftsmodell: Sie bieten unter anderem an, defekte Kleidung zu reparieren oder zu recyclen.
„Die EU-Taxonomie sehe ich als problematisch an.“
Anja Kern
Wie können solche Geschäftsmodelle zum Normalzustand werden?
In seiner großen Breite wird sich das Konsumverhalten außerhalb der ohnehin umweltbewussten Bevölkerung erst ändern, wenn nachhaltiger Konsum preiswerter wird als nicht-nachhaltiger Konsum. Staaten müssen Subventionen in braune Industrien, wie die Kohleindustrie, einstellen und stattdessen grüne Investitionen fördern.
Ab 2022 gilt die EU-Nachhaltigkeitstaxonomie. Sie klassifiziert, ab wann sich ein Unternehmen „grün“ nennen darf. Wie stehen sie dazu?
Die EU-Taxonomie teilt Unternehmen nicht streng in „grün“ und „braun“ ein, sondern klassifiziert sämtliche Wirtschaftsaktivitäten innerhalb eines Unternehmens in „grüne“ und „braune“ Aktivitäten. So sollen Unternehmen die Chance bekommen, sich zu wandeln und nachhaltiger zu werden. Der Gedanke funktioniert in der Theorie, die Umsetzung jedoch sehe ich sehr problematisch.
Wieso ist die Umsetzung problematisch?
Es ist ja ein Berichtstandard. Er zielt darauf ab, sämtliche Unternehmensaktivitäten über Produkte, Dienstleistungen, Prozesse und Investitionen in grün und braun zu klassifizieren und dann zu kommunizieren. Das bedeutet einen erheblichen Aufwand für die Unternehmen: Sie müssen tief in die Materie einsteigen, sich mit Kriterien auseinandersetzen, um einzelne Vorgänge im Unternehmen zu erfassen. Es fehlen oft Kapazitäten und Kompetenzen, Unternehmen müssen daher externe Beraterfirmen beauftragen, die ihnen bei der Bewältigung dieser Aufgabe helfen sollen. Die werden sich über die vielen Aufträge freuen (lacht).
Viele Kriterien sind nicht praktikabel, weil die Informationen nicht vorliegen. Dies wird dazu führen, dass die Taxonomie unterschiedlich umgesetzt wird und die Vergleichbarkeit der Unternehmen darunter leidet. Auch innerhalb der EU wird es zu Problemen kommen.
Welche Probleme?
Es gibt grundsätzliche Diskussionen über die Klassifizierungskriterien auf EU-Ebene. Ist Atomkraft grün oder nicht? Manche Länder wie Frankreich oder Finnland wollen das befürworten, weil dadurch weniger CO2 ausgestoßen wird. Andere wollen im Gegenzug Erdgas als grün klassifizieren. Diese Diskussionen tragen nicht dazu bei, die CO2-Emissionen zu reduzieren. Anstatt über Klassifizierungskriterien der Taxonomie zu streiten, sollte die EU an einer Strategie arbeiten, die zielführend ist, die CO2-Emissionen tatsächlich zu senken. Außerdem gilt die Taxonomie nur in Europa, und hat aufgrund ihrer Komplexität wenig Aussicht darauf, global umgesetzt zu werden. Wir brauchen aber globale Lösungen, um das Klima zu retten.
„Über die CO2-Gebühr entsteht ein neuer Wettbewerb“
Anja Kern
Was können Unternehmen tun?
Das dringendste Problem ist der CO2-Ausstoß. Wir brauchen einen weltweit standardisierten CO2-Bericht, damit Unternehmen ihren CO2-Ausstoß erfassen. Unternehmen könnten sich in einer Initiative zusammenschließen und dafür eintreten. Unternehmen der Initiative könnten auch für die Gründung eines Instituts eintreten. Diesem Institut sollten Nichtregierungsorganisationen, Regierungsvertreter und Wissenschaftler angehören, die zusammen an weiteren Lösungen, wie einer globalen CO2-Bepreisung arbeiten. Diesen Vorschlägen könnten sich dann Regierungen weltweit anschließen.
Wie lässt sich die CO2-Bepreisung weltweit durchsetzen?
Unternehmen sind globale Akteure. Wenn sich die großen Player, also eine kritische Masse von Unternehmen, zusammenschließen und einen CO2-Berichtsstandard und einen globalen CO2-Preis fordern, könnte dies den Weg zu einer globalen Lösung erheblich erleichtern und Regierungen dazu bewegen, dieser Lösung zuzustimmen.
Wenn weltweit eine CO2-Gebühr beschlossen wird, werden die Preise steigen. Und das landet wiederum bei den Endverbrauchern, richtig?
Natürlich, denn wir als Gesellschaft sind auch verantwortlich. Das ist unser Konsum. Das ist der Preis, um unsere Erde zu retten. Natürlich werden viele Produkte erstmal teurer werden. Die CO2-Gebühr sollte direkt beim Endkunden erhoben werden, damit sie eine Konsumänderung bewirken kann. Da bei manchen Produkten der CO2-Durchschnittswert bereits bekannt ist – also wieviel CO2 im Durchschnitt bei Produktion und Nutzung anfällt – kann man diese Zahlen als Basis nehmen, um einen globalen CO2-Aufschlag für diese Produktart zu definieren. Wenn ein Unternehmen in seinem CO2 -Bericht aufzeigt, dass es signifikant unter dem CO2-Durchschnitt liegt, sinkt der auferlegte CO2-Aufschlag. Damit wird das Produkt für den Kunden preiswerter.
Dann wird es sich lohnen, nachhaltig zu sein.
Genau. Es entsteht ein neuer Wettbewerb zwischen den Unternehmen. Denn sie müssen ihre Geschäftsmodelle anpassen, mehr in Nachhaltigkeit investieren, um konkurrenzfähig zu bleiben. Wir brauchen Innovationen und neue Technologien in der Wirtschaft, aber auch das reicht nicht um den Klimawandel aufzuhalten. Es ist fünf nach 12: Was Teil der Lösung sein wird, ist verzichten.
Verzichten?
In einigen Bereichen müssen wir unseren Konsum ändern, in manchen werden wir uns einschränken müssen. Wir können unseren CO2-Verbrauch senken, indem wir auf Elektrofahrzeuge umsteigen oder unsere Ernährung umstellen, zum Beispiel weniger Rindfleisch essen. Auch Franzosen müssen dann ihre Ernährung ändern, selbst wenn der Atomstrom grün klassifiziert wird (lacht).
Wir müssen aber auch verzichten, wie beispielsweise auf Flugreisen. Unsere Generation muss ihren Beitrag leisten, damit zukünftige Generationen die Möglichkeiten haben, die für uns bisher selbstverständlich waren. In vielen Sektoren haben wir bereits nachhaltige Lösungen, wie im Energie-, und Gebäudesektor zum Beispiel. Die müssen wir nur umsetzen.
Zur Person
Anja Kern ist Leiterin des Studiengangs Internationaler Handel an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) in Mosbach. Ihre akademische und berufliche Laufbahn führte sie unter anderem nach Paris, London und den Mittleren Osten. Sie arbeitete in verschiedenen internationalen Unternehmen und setzte sich wissenschaftlich mit dem Wertbegriff im Gesundheitswesen auseinander. Heute beschäftigt sie sich mit Nachhaltigkeit im globalen Kontext.