All Electric Society. Das ist die Vision der lippischen Elektro- und Automatisierungstechnikerinnen von Phoenix Contact. In ihrem schlauen Gebäude lässt sich erleben, was es dafür braucht: Menschen, die schon heute elektrisiert sind. Und Daten, die im Hintergrund stetig strömen.
Wenn es um die Zukunft geht, sind Visionen schnell zur Hand. Vollmundige Versprechungen werden gemacht, science-fiction-artige Bilder bemüht. Wie heiß die Luft ist, aus der die Schlösser gebaut sind, kann ja niemand prüfen. Nicht so bei Phoenix Contact: Das Unternehmen mit Hauptsitz im nordrhein-westfälischen Blomberg sieht am Horizont die All Electric Society, die komplett elektrische Gesellschaft, deren Hauptenergieform die regenerativ erzeugte Elektrizität ist. Das wäre gut fürs Klima und für die Teilhabe. Denn wenn klar ist, wann wo wie viel Energie gebraucht wird, lässt sie sich gezielt einsetzen und einsparen. In Wohnungen, in Gebäuden, in Städten, Ländern, weltweit. Essenzielle Bausteine für die Realisierung: Vernetzung und Automatisierung.
Aus diesen Bausteinen ist das Gebäude namens Building Internet of Things (IoT) am Unternehmensstandort in Bad Pyrmont errichtet. Eingebettet in die sanften Hügel des Bad Pyrmonter Ortsrands sieht das Gebäude 4 aus, wie ein modernes Bürogebäude auszusehen hat: viel Glas, viel Weiß, etwas Grau. Schick. Ein Rasenmäherroboter zieht seine Kreise vor dem Haupteingang, Ladestationen für E-Autos stehen bereit, selbstverständlich mit Steckern von Phoenix Contact. Aber Automatisierung, Vernetzung, IoT? Wo werden sie sichtbar?
Wer in die Zukunft blicken will, braucht einen, der sie lebt. Einen wie Frank Schröder. Seit 34 Jahren arbeitet der 51-Jährige bei Phoenix Contact, stieg vom Azubi für Betriebstechnik zur Führungskraft auf. Schröder lebt nach dem Motto: „Was wir nicht aufhalten können, sollten wir beschleunigen.“ Er nahm schon 2013 an einer E-Auto-Rallye teil und spricht in Hashtags, wenn ihm etwas wichtig ist. Eines seiner Lieblingswörter ist „Change“. Er ist auf sämtlichen Sozialen Medien zuhause, spricht in seinem Wohnzimmer mit Alexa, steuert seine Kaffeemaschine via App. Als Head of Facility Management ist Schröder verantwortlich für das Building IoT und damit so etwas wie der Zukunftsbotschafter für Phoenix Contact.
Innen schlau
„Von der Beleuchtung über die Klimatisierung bis zum Catering ist hier alles automatisiert“, sagt Schröder mit weiter Geste in das Besprechungszimmer hinein, das seine Intelligenz nicht auf den ersten Blick preisgibt. Woran soll man schon erkennen, dass die Beleuchtung automatisch angeht, sobald der Raum benutzt wird, dass die Leuchtmittel Bescheid geben, sollten sie demnächst ausgetauscht werden müssen, dass die volle Kaffeekanne rechtzeitig und automatisch storniert worden wäre, hätte das Treffen nicht stattgefunden?
Um das sichtbar zu machen, braucht es die App MyEmalytics. Durch sie weiß Schröder jederzeit und überall über alle Gewerke im Building IoT Bescheid. Er kann sehen, wann jemand auf einem der Sofas sitzt, weiß um die Feuchtigkeit der Blumenerde und die Nutzungsfrequenz der Toiletten, kennt den Füllstand der Kaffeebohnen, der E-Autos, der Mülleimer. Dabei ist es in vielen Fällen gar nicht nötig, dass der Facility Manager den Überblick hat. Denn wenn der Mülleimer voll ist, weiß das auch der Reinigungsroboter und leert ihn immer zum besten Zeitpunkt. Putzen, nur weil’s an der Zeit und nicht, weil es nötig ist, ist hier passé: Das übernimmt der kleine Wischroboter, der sich auch den Aufzug selbst ruft.
Klingt putzig, ist aber für die Firma von enormem Nutzen. „Wir haben das Gebäude upgedatet, und können das immer wieder tun. Es wird niemals alt werden“, sagt Schröder über das Building IoT, das 2017 eingeweiht wurde. Durch die Automatisierung hat Phoenix Contact circa 50 Prozent weniger Betriebskosten – obwohl der Bau nicht teurer war, als der eines vergleichbaren Gebäudes. „Uns geht es nicht um Spielereien. Und uns geht es schon gar nicht darum, Menschen verzichtbar zu machen. Unser Ziel ist der bedarfsgerechte Einsatz von Energie und Ressourcen, kurz: Betriebskosten runter, Nutzerkomfort hoch.“
„Uns geht es nicht darum, Menschen verzichtbar zu machen. Unser Ziel ist der bedarfsgerechte Einsatz von Energie und Ressourcen, kurz: Betriebskosten runter, Nutzerkomfort hoch.“
Frank Schröder, Head of Facility Management
Mit dem Aufzug, der unterwegs dem Licht im fünften Stock mitteilt, dass es gleich anzugehen hat, gelangt man zur Photovoltaik-Anlage auf dem Dach. „An einem schönen Sommertag produziert sie mittags um 12 Uhr 160 kW“, erklärt Schröder. Der gesamte Phoenix-Contact-Standort in Bad Pyrmont verbraucht allerdings sogar an einem Sonntag, an dem keiner da ist, 300 kWh. Deshalb gibt es noch eine zweite Energiequelle: ein Blockheizkraftwerk, das 60 bis 70 Prozent des Stroms und die Wärme für den Standort produziert. Wo wann wie viel Strom aus welcher Quelle gebraucht wird, sieht Schröder auf der App. Sie ermöglicht auch externen Besuchern oder Installateuren den Blick hinter die Kulissen: Der digitale Zwilling der Lüftungsanlage erleichtert die Wartung, die Heizungsanlage gibt auf den Scan des QR-Codes hin ihre Daten preis.
Die Grundlage für die umfassende Automatisierung und Vernetzung: Daten, Daten, Daten. Damit Emalytics die Daten aller Gewerke nutzen kann, bringt es diese in ein einheitliches Format und legt sie in der Phoenix-Contact-Cloud ab. Jeder Datenpunkt steht dann dem kompletten System zur Verfügung. „Durch die verschiedenen Protokolle war es früher so, als spräche ein Gerät Französisch und das andere Chinesisch. Wir haben hier ein Produkt kreiert, das übersetzen kann. So sprechen alle Geräte in der Liegenschaft in derselben Sprache miteinander“, erklärt Schröder.
Mehr Denkweise als Technologie
Dafür, dass das funktioniert, sorgt ein Team in Dresden. Das steht hinter der Soft- und Hardware von Emalytics. Die Klemmen, die im Schaltschrank Signale der einzelnen Geräte empfangen und weiterleiten, entstehen hier, ebenso wie die Plattform, die weiß, wie sie die Daten nutzt. Emalytics ist für das circa 20-köpfige Team mehr als ein IoT-basiertes Gebäudemanagementsystem. Einat Ditze, Produktverantwortliche für Building Technologies, sagt: „Emalytics ist für uns eine Denkweise: Alle Technologien sollten so eingesetzt werden, dass sie uns das Leben und Arbeiten erleichtern. Emalytics steht für Flexibilität und Offenheit.“
Ditze meint damit, dass es für Emalytics irrelevant ist, für welche Geräte sich die Kunden entscheiden – Emalytics lässt sie alle miteinander kommunizieren. „Wir leben in der wunderbaren Situation, dass technisch alles möglich ist. Wir müssen es nur zu nutzen wissen.“
Das Schlüsselprodukt dafür ist der ILC 2050 BI, ein Smart-Building-Controller, der hunderte von Protokollen selbst integriert und zusätzliche Gateways obsolet macht. Ob Kunden ein neues Gebäude von vornherein automatisieren wollen oder einen Retrofit im Sinn haben: „Unsere Devise lautet: Wir machen es möglich. Wir brennen für unsere Arbeit“, sagt die gebürtige Israelin, die 2012 von ihrer ehemaligen Arbeitsstätte in New York nach Dresden kam.
Gegenwärtig sind es noch Industriekunden, die ihre Gebäude automatisieren. Doch Steffen Mehnert, Leitender Produktverantwortlicher für Building Technologies bei Phoenix Contact und damit zuständig für das Dresdner Gebäudeautomationsteam, ist überzeugt, dass sich das ändert: „In Zukunft wird es keine Gebäude mehr ohne Automation geben. Sie werden klimaneutral sein und müssen immer höheren Ansprüchen an Funktion und Komfort genügen. Das ist nur durch ganzheitliche Automation zu erreichen. Die Herausforderung besteht in der Beherrschung der Komplexität. Dafür gibt es zwar noch kein Patentrezept, aber wir arbeiten daran.“ Bei Phoenix Contact ist man sich einig: In naher Zukunft sind auch unsere Wohnungen schlau.
„Wir erleben gerade einen riesigen Change-Prozess zu einer digitalisierten Welt“, sagt Schröder. Seine Zugewandtheit zur Zukunft im Heute ist zwar intrinsisch, doch auch er braucht Impulsgeber für regelmäßige Updates. Bei Schröder sind es seine vier Kinder. „Als ich für meine Fotos eine Festplatte kaufen wollte, fragte mein Sohn, warum ich sie nicht in eine Cloud lege. Jetzt kann ich sie immer und überall anschauen – und ich zucke beim Stichwort Cloud nicht mehr zusammen wegen vermeintlicher Unsicherheit.“
Die Sorgen um die Sicherheit der Daten kann Phoenix Contact den Kunden nehmen: Beim Tochterunternehmen Cyber Security mit Sitz in Berlin-Adlershof entwickeln circa 70 Mitarbeitende den unhackbaren Schutz für die Cloud. Phoenix Contact erwarb die Firma 2008 – zu einer Zeit, in der viele noch gar nicht an so etwas dachten.
Im Vorrausschauen liegt offenbar die Stärke von Phoenix Contact. Anders kann aus einem Klemmenhersteller kein Anbieter von Automatisierungslösungen mit 18.000 Mitarbeitenden werden. „Unser ehemaliger geschäftsführender Gesellschafter Klaus Eisert hat gesagt, das Geheimnis seines Erfolges sei, dass er viele Dinge zulasse“, erzählt Frank Schröder und lässt den Blick durch die Empfangshalle des Buildings IoT gleiten. „Diese Unternehmenskultur haben wir noch immer.“ Dass Phoenix Contact aus einer Vision Wirklichkeit werden lässt, liegt nicht am Schauen, sondern am Machen. Oder vielmehr: Am Macher und Macherinnen machen lassen.
Phoenix Contact
Phoenix Contact weiß: Zukunft braucht Herkunft. Das Unternehmen, das heute weltweit über 17.000 Menschen beschäftigt, entsprang 1923 dem Gründergeist Hugo Knümanns in Essen. Mit der innovativen Reihenklemme im Gepäck ging’s wenig später nach Blomberg, wo nach wie vor die Zentrale sitzt, vor allem aber hin zu einer beachtlichen Produktpalette: Phoenix Contact stellt über 60.000 Produkte für die Verbindungs- und Automatisierungstechnik her, die beispielsweise die Verkehrsinfrastruktur, die Elektromobilität, regenerative Energien und den Maschinen- und Anlagenbau voranbringen.